Egal ob „verlorene Stunde“ oder „verlorene Minuten“ – entscheidend ist, sich den Druck zu nehmen und stattdessen Zeit für sich selbst. Eine kleine Alltagszuflucht, ein Zeitloch zum Durchatmen, Abstand gewinnen, Zu-sich-selbst-kommen, Hinterfragen und für Kurswechsel.
Und stattdessen? Nichtstun, Tagträumen nachhängen, sich vielleicht ganz ineffiziente Gedanken über die Zeit selbst machen. Wer es mit philosophischem Tiefgang mag, kann sich mit Safranski* auf einen Rundgang über verschiedene Zeitformen machen: Vom Gefühl der Langeweile (wenn viel zu viel Zeit da ist und sie nur quälend langsam vergeht) über die euphorische Zeit des Neuanfangs, bewirtschaftete Zeit oder Zeitrhythmen bis zur Ewigkeit. Er geht der Frage nach, welche Bedeutung Zeit für uns hat und was „erfüllte“ Zeit ausmacht. Allein durch die Vielfalt an Perspektiven auf dieses Alltagsphänomen ist das Buch inspirierend. Unbeschwerter und trotzdem großartig wäre ein Klassiker aus Kindertagen: „Momo und die grauen Herren.“ von Michael Ende. Eines von diesen Büchern, bei denen man sich fragt, wie so große und komplexe Themen eigentlich in ein Kinderbuch reinpassen. Erst letztens wurde mir gesagt, dass es bei Momo eigentlich um die Kritik der Finanzmärkte geht. Ob mit oder ohne Gesellschaftskritik – allein wegen dem wunderschönen Bild von den „Stundenblumen“, die in uns wachsen ist das Buch großartig. Egal wie alt man ist. Und sprechende Schildkröten gehen ja sowieso immer…
Hauptsache, es entsteht kein neuer Druck weil man schon längst mal wieder „ein Buch lesen“ sollte. Viel wichtiger ist zu sehen, was passiert, wenn man sich diesen großen Luxus gönnt Zeit zu haben. Wirklich souverän und autonom über die eigene Zeit bestimmen – und sei es nur für einen kurzen Moment! Ganz schnell beginnen sich die Dinge auf meiner to-do-Liste wieder zu relativieren. Vielleicht gibt es ein, zwei Punkte, die tatsächlich dringend oder die mir einfach wichtig sind, auf die ich mich wirklich freue. Aber der Rest? Ich sehe, dass ich sie mal wieder zu voll geladen habe.. Also versuche mich in dem Gedanken, dass es für alles einen richtigen Zeitpunkt gibt. Und dem noch viel schwierigeren Gedanken, dass dieser Zeitpunkt für manches auch niemals kommen wird. Die Welt wird sich trotzdem weiterdrehen, ich werde nichts wichtiges verpassen und jetzt ist der richtige Zeitpunkt loszulassen…
*Rüdiger Safranski: Zeit, was sie mit uns macht und was wir aus ihr machen. Hanser, München 2015
Michael Ende: Momo. Thienemann-Esslinger, Stuttgart 2018
PS: Der Titel dieses Posts wurde übrigens von Martin Suter entliehen. Sein Roman über einen Zeitnihilisten, der versucht die Zeit aufzuheben, ist ein kurioses Gedankenspiel, aber leider nicht sein bester Roman.
Martin Suter: Die Zeit, die Zeit. Diogenes Verlag 2013, Zürich